Blick für die Topografie
Zur Projektierung von Kraftwerken ist der Blick für topografische Gegebenheiten gefragt. So hat Repower zwischen dem Lago Bianco und dem Lago di Poschiavo geeignete Voraussetzungen zur Realisierung eines Pumpspeicherwerks erkannt.
Die Entwicklung des Projekts Lagobianco ist in vollem Gang: Die Einreichung des Konzessionsgenehmigungsgesuchs an die Bündner Regierung im November 2011 markiert einen wichtigen Meilenstein für das Vorhaben. Auch werden zahlreiche Voruntersuchungen durchgeführt. Dabei ist in Camp Martin, am südwestlichen Ufer des Lago di Poschiavo, ein Sondierstollen entstanden, mit dem die Machbarkeit einer Kavernenzentrale untersucht wird.
Das Projekt Lagobianco ist für Repower von grosser Bedeutung. Aber auch im europäischen Energiekontext spielen das Vorhaben und dessen Kernstück – ein 1000-Megawatt-Pumpspeicherkraftwerk im oberen Puschlav – eine Schlüsselrolle. Europaweit nimmt die Zahl an Photovoltaik- und Windanlagen laufend zu, eine Entwicklung, die sich mit der beabsichtigten Energiewende weiter verstärken wird. Die Stromproduktion aus Sonne und Wind ist aber unregelmässig und fällt nicht immer dann an, wenn der Bedarf danach besteht, sondern wenn die Sonne scheint oder der Wind bläst. Was es also braucht, sind Batterien, welche Strom bei Überangebot aufnehmen und bei erhöhter Nachfrage wieder abgeben können. Genau diese Funktion kann von Pumpspeicherwerken übernommen werden. Im Falle von Lagobianco wird bei Stromüberschuss Wasser aus dem auf rund 1000 m ü. M. gelegenen Lago di Poschiavo im Talboden über 1200 Meter nach oben in den Lago Bianco auf dem Berninapass gepumpt. Bei erhöhtem Strombedarf fliesst das Wasser in die Gegenrichtung und wird turbiniert, sodass Strom produziert und ins Netz eingespeist werden kann. Das Pumpspeicherwerk passt somit die Produktion dem Bedarf an und leistet dabei einen bedeutenden Beitrag zur Netzstabilität. Dies wiederum stärkt die Rolle der Schweiz als Energiedrehscheibe Europas.
Neben dem Bau des Pumpspeicher-Kraftwerks zwischen dem Lago Bianco und dem Lago di Poschiavo beeinflusst das Projekt auch den Weiterbetrieb der bestehenden Anlagen im Puschlav. Mit Lagobianco führt Repower die über 100-jährige Tradition der Stromproduktion aus Wasserkraft im Tal weiter und baut sie aus – mit einem Vorhaben, das vom Berninapass bis zur italienischen Grenze reicht. Aber Lagobianco ist nicht nur aus geografischer Sicht weitreichend: Durch das Projekt entstehen wichtige wirtschaftliche Impulse sowohl für das Puschlav als auch für den gesamten Kanton Graubünden. Eine strikte Umweltbegleitung während allen Projektphasen und sorgfältig entwickelte Ersatzmassnahmen stellen ausserdem eine ausgeglichene Umweltbilanz sicher. Zur umfassenden Natur des Vorhabens gehört auch die Zusammenarbeit mit verschiedenen Interessengruppen, die seit Anfang die Arbeiten am Projekt kennzeichnet. So wurde dieses von Repower gemeinsam mit Vertretern von Umweltorganisationen, dem Fischereiverband sowie den lokalen und kantonalen Behörden entwickelt. Gleichzeitig wurde die Bevölkerung der Konzessionsgemeinden Poschiavo, Pontresina und Brusio mittels Informationsanlässen regelmässig über die Projektfortschritte auf dem Laufenden gehalten.
Auch 2011 wurden die Projektarbeiten in Zusammenarbeit mit verschiedenen Interessenvertretern erfolgreich weitergeführt. Nachdem im Herbst und Winter 2010/2011 die Konzessionen durch die drei Gemeinden genehmigt und die entsprechenden Verträge unterzeichnet worden waren, wurde im Laufe von 2011 das Konzessionsgenehmigungsgesuch mit der dazu gehörenden Projektdokumentation erarbeitet. Dabei waren die Umweltaspekte von zentraler Bedeutung. Einer der wichtigsten Bestandteile des Gesuchs ist denn auch der Umweltverträglichkeitsbericht (UVB) 1. Stufe. Dieser befasst sich mit der Situation nach Abschluss der Bauarbeiten und untersucht den Einfluss auf die Umwelt, der durch den Betrieb der Anlagen entsteht. Neben dem eigentlichen Gesuch und dem UVB enthält die Dokumentation weitere Fachgutachten, welche sich vertieft mit verschiedenen Umweltaspekten auseinandersetzen. Der hohe Detaillierungsgrad widerspiegelt sich auch im Umfang der Gesuchunterlagen: diese umfassen insgesamt mehr als 2000 Seiten. Nach der Fertigstellung der Dokumentation konnte das Konzessionsgenehmigungsgesuch Ende November von Repower gemeinsam mit den Gemeinden Poschiavo, Pontresina und Brusio an die Regierung des Kantons Graubünden eingereicht werden. Damit wurde ein wichtiger Meilenstein für das Projekt Lagobianco erreicht.
Die Entwicklung eines Grossprojekts ist ein dynamischer Vorgang, bei dem immer wieder verschiedene Varianten geprüft und ausgewertet werden. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse fliessen in die weitere Planung ein und tragen so zur laufenden Optimierung des Vorhabens bei. Auch im Falle von Lagobianco sucht man unter sorgfältiger Abwägung verschiedener Kriterien nach der besten Lösung für jeden Bestandteil. Dabei werden in der hier beschriebenen Projektphase diverse Vorarbeiten durchgeführt. Zu diesen zählt auch der Sondierstollen im Raum Camp Martin, am südwestlichen Ufer des Lago di Poschiavo. Seit Juli 2011 wurde hier im Sprengvortrieb zuerst ein Gang von rund 250 Metern Länge mit einem Durchmesser von gut fünf Metern ausgebrochen. Vom hintersten Punkt dieses Hauptstollens wurde der Vortrieb dann bis Ende Jahr ca. achtzig Meter in einem etwas schmaleren, querverlaufenden Seitenstollen weitergeführt. Mit den Stollen und weiteren Sondierbohrungen wird untersucht, ob das Herzstück des künftigen Pumpspeicherwerks, die Zentrale, in Form einer Kavernenzentrale im Berginnern errichtet werden kann. Auch die genaue Führung des Druckschachts, durch den das Wasser mit Hochdruck in die Zentrale geleitet wird, soll mithilfe der hier gewonnenen Erkenntnisse definiert werden. Ende Jahr war es noch zu früh, um abschliessende Aussagen über die Ergebnisse der Bohrungen zu machen. Nach einer Pause über die Jahreswende wurden die Arbeiten am Sondierstollen in der zweiten Januarhälfte denn auch weitergeführt. Es sollen weitere Erkenntnisse über die Beschaffenheit des Felsens gewonnen werden, damit schliesslich auf einer soliden Basis Entscheide getroffen werden können.
2012 wird nicht nur die genaue Position der Zentrale und die Führung des Druckschachts bestimmt, es stehen auch weitere entscheidende Aufgaben rund um das Projekt Lagobianco an. So wird anhand verschiedener Modelle und Preisszenarien die Wirtschaftlichkeit des Vorhabens berechnet. Besonders anspruchsvoll sind diese Untersuchungen, weil der Einsatz der Anlagen über die gesamte Konzessionsdauer von achtzig Jahren modelliert werden muss - in einem Energieumfeld, das sich in starkem Wandel befindet. Die Resultate der Wirtschaftlichkeitsprüfung sind für die künftige Entwicklung des Projekts Lagobianco von grosser Bedeutung. Ein weiterer wichtiger Schritt steht mit der Auswahl geeigneter Partner für die Projektgesellschaft Lagobianco SA bevor. Gleichzeitig wird vonseiten der Regierung des Kantons Graubünden der Entscheid über das Konzessionsgenehmigungsgesuch erwartet. Während dieses geprüft wird, bereitet Repower die Dokumentation für das Projektgenehmigungsgesuch vor. Dabei arbeiten Ingenieure und weitere Spezialisten Lösungen aus, welche anschliessend mit den verschiedenen Interessenvertretern abgestimmt werden. Das Projektgenehmigungsgesuch befasst sich mit der Bauphase, weshalb die technischen Aspekte im Vergleich zum Konzessionsgenehmigungsgesuch mehr Platz einnehmen. Aber auch die Umweltaspekte stellen mit dem UVB 2. Stufe einen wichtigen Bestandteil der Gesuchunterlagen dar. Die Arbeiten für die Projektgenehmigung werden speditiv vorangetrieben, sodass das entsprechende Gesuch nach Konzessionsgenehmigung umgehend an den Kanton eingereicht werden kann.
2011 war ein bedeutendes Jahr für das Projekt Lagobianco. Welches waren die wichtigsten Ereignisse für das Vorhaben?
Es gab drei Momente, die besonders bedeutsam waren. Nach den Volksabstimmungen hat um die Jahreswende die Unterzeichnung der Konzessionsverträge mit den drei Gemeinden stattgefunden. Im Sommer erfolgte mit der ersten Sprengung für den Sondierstollen in Camp Martin ein weiteres wichtiges – und auch hör- und sichtbares – Ereignis. Schliesslich brachte die Einreichung des Konzessionsgenehmigungsgesuchs das Projekt Lagobianco im November nochmals einen entscheidenden Schritt vorwärts.
Das Konzessionsgenehmigungsgesuch ist ein sehr umfangreiches Dokument, dessen Vorbereitung viel Zeit in Anspruch genommen hat. Wie wurde auf dessen Einreichung hingearbeitet?
Wie die gesamten bisherigen Arbeiten am Projekt Lagobianco wurde auch die Dokumentation für das Konzessionsgenehmigungsgesuch in enger Zusammenarbeit mit den Vertretern aller involvierten Interessengruppen erarbeitet. Unter anderem wurde die gesamte Dokumentation vor Einreichung von den verschiedenen Interessenvertretern gegengelesen. So konnten die dabei geäusserten Bemerkungen und Anregungen schon frühzeitig in die Dokumentation eingearbeitet werden.
Warum ist diese gemeinsame Entwicklung für das Projekt Lagobianco so wichtig?
Durch dieses Vorgehen können 360°-Lösungen gefunden werden, hinter denen schlussendlich alle Teilnehmenden stehen und die für alle vertretbar sind. Im Zentrum stehen nicht Probleme, sondern die Suche nach gemeinsamen Lösungen. Dieser gemeinschaftliche und lösungsorientierte Ansatz trägt zu einem positiven und effizienten Arbeitsfortschritt sehr viel bei.